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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.08.2021


Die Unbeugsamen. Ein Dokumentarfilm über Politikerinnen in der Bonner Republik. Kinostart am 26. August 2021
Helga Egetenmeier

"Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte!" Dass die Staatsform Demokratie nicht per se für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik steht, zeigt sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bis heute. In Interviews mit zwölf hochrangigen, ehemaligen Politikerinnen, und ergänzt durch Archivmaterial, belegt …




.. diese Doku die wichtige Rolle, die diese streitbaren Vorbilder in der westdeutschen Bundespolitik spielten indem sie sich kritisch mit der gesellschaftlichen Entwicklung auseinandersetzten.

Mit einer Schwarz-Weiß-Sequenz aus dem Jahr 1958 beginnend, führt der Film in den darauffolgenden zwölf Kapiteln bis kurz vor die Jahrtausendwende. Eine Tagesschau Reporterin gratuliert im Vorspann der FDP-Politikerin Marie-Elisabeth Lüders zu ihrem 80. Geburtstag, und stellt ihr die Frage "Was denken Sie heute über die Verwirklichung ihres großen Anliegens, der Gleichberechtigung der Frau?" Gewohnt sachlich antwortet Lüders: "Na, zum Teil ist sie erfüllt, und zum anderen Teil nicht. Und wenn die Leute nicht weiterkämpfen, dann werden sie das, was sie haben, verlieren."

Der Kampf um Macht und Geschlechtergerechtigkeit

Sie habe noch nie verstanden, weshalb Macht als "unweiblich" angesehen werde, so die SPD-Politikerin Renate Schmidt. Mit diesem Statement gibt sie im ersten Kapitel, das "Meine Herren" betitelt ist, den Weg des Films vor. Gerade als Frau wolle sie nicht ohnmächtig sein, sondern (ihre) Macht dazu nutzen, die Themen durchzusetzen, die sie für wichtig erachtet.

Wie sich für sie in der Auseinandersetzung um Gleichberechtigung das Private mit dem Politischen vermischte, erzählt die FDP-Politikerin Carola von Braun im Rückblick im Kapitel "Rebellinnen". Ihr damaliger Mann hatte kein Verständnis für ihre politischen Ambitionen. Da sie jedoch nicht die Rolle der Hausfrau übernehmen wollte, ging ihre Ehe, beschreibt sie ohne Bedauern, auseinander.

Dass die Gläserne Decke es Frauen erschwerte – wie auch heute immer noch - den Beruf der Politikerin zu ergreifen, durchzieht den Film ebenso, wie offen gezeigtes sexistisches Verhalten. So beschreibt die FDP-Politikerin Helga Schuchardt, wie verblüfft – und sie sagt tatsächlich "verblüfft", nicht ärgerlich oder empört – sie war, als ihr Richard Stücklen Anfang der 1980er Jahre im Bundestag mit dem Daumen über die Wirbelsäule fuhr. Als sie ihn nach dem Grund seines eigenartigen Verhaltens fragte, erklärte er, die CSU-Fraktion hätte gewettet, ob sie einen BH trage und er hätte das nun überprüft.

"Einfach ekelhaft" - Die Debatte über den § 2018 und Vergewaltigung in der Ehe

Die zwischen den Jahren 2015 und 2016 geführten Interviews verknüpft Regisseur Körner in jedem Themenbereich präzise mit historischen Filmaufnahmen. So sehen wir im Kapitel "Unter deutschen Decken" einen Ausschnitt aus der Parlamentssitzung vom 5. Mai 1983, für den allein sich schon der Kinobesuch lohnt. Eine großartige Waltraud Schoppe hält, nüchtern und mit auffallend leiser Stimme, eine beeindruckende Rede zu Schwangerschaftsverhütung, dem § 218 und Vergewaltigung in der Ehe. Was ihr da an sexistischem Verhalten entgegenschlägt, hilft, die feministischen Kämpfe dieser Zeit zu verstehen. Ingrid Matthäus-Maier sagt rückblickend dazu, "Die Stimmung bei der Rede von Waltraud Schoppe war einfach ekelhaft."

Ökologie und Frieden - auch damals ein Thema der Jugend

Dass die damaligen Themen bis heute aktuell sind, wird auch im Abschnitt "Krieg und Frieden" deutlich. Mit dem NATO-Doppelbeschluss 1983 entstand die Angst vor dem atomaren Erstschlag, welche auch die Friedensbewegung erstarken ließ. Als Umweltproblem rückte das Waldsterben in den Mittelpunkt, gegen das ebenso protestiert wurde, wie gegen die Aufrüstung.

Eine Rede dazu, gehalten von Renate Schmidt im Parlament, wirkt aus heutiger Sicht wie ein Déjà-vu, und weist doch nur darauf hin, dass der Kampf der Ökologie-Bewegung schon seit Jahrzehnten diskreditiert wird. Sie argumentiert gegen den Vorwurf, Eltern würden ihre Kinder mit auf Demos nehmen, denn das Gegenteil sei der Fall. Die Themen Krieg und Umweltzerstörung würden die Kinder sehr bewegen, deshalb nähmen diese ihre Eltern mit zum Demonstrieren. Ihr sei dazu der Inhalt eines Transparents von Jugendlichen bei einer Demo in Neu-Ulm aufgefallen: "Ihr geht mit der Welt um, als hättet ihr eine zweite im Keller."

Dieses historische Beispiel zeigt die Kontinuität konservativer Politiker*innen, jungen Menschen - wie dies heute auch bei den Aktivist*innen von Fridays for Future geschieht - ihr ernsthaftes Interesse an der Gestaltung ihrer Zukunft durch machtvolle Ignoranz abzusprechen.

Das Misstrauensvotum - eine bis heute wirkende Richtungsentscheidung

Ein weiteres Beispiel für die nachhaltige Wirkung machtvollen politischen Auftretens zeigt der Film am Beispiel des Misstrauensvotums gegen Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982. Auf die dadurch folgende Spaltung der westdeutschen Gesellschaft durch die Zunahme der sozialen Ungleichheit, geht der Film im Kapitel "Leviten lesen" ein. Er zeigt die beeindruckende Rede von Hildegard Hamm-Brücher, die ihre Partei trotz ihres Appells, den Willen der Wähler*innen zu achten, nicht davon abbringen konnte, Helmut Kohl zum Kanzler zu machen.

Ihre damalige Parteikollegin Ingrid Matthäus-Meyer sah durch die Akzeptanz des Misstrauensvotums und die Wiederwahl Hans-Dietrich Genschers als Parteivorsitzenden ihre Partei auf dem Weg zu einer rechten Wirtschaftspartei. Bilder vom Parteitag im November 1982 zeigen einen emotionalen Machtkampf, wie auch weinende Politiker, die die Veränderung der Partei nicht aufhalten konnten. In Folge davon kam es zu zahlreichen Parteiaustritten, und auch die Politikerin Matthäus-Meyer wechselte zur SPD.

Debatte um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944"

Das Kapitel "Papa" greift die Auseinandersetzung um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" auf, während der es in München 1997 zu teilweise gewalttätigen Aufmärschen der rechten Szene kam. Bei der Bundestagsdebatte am 13. März 1997 forderte die Grünen-Politikerin Christa Nickels in einer sehr persönlichen Rede die Zivilgesellschaft auf, die Verbrechen der Vergangenheit offen zu legen, damit eine "Aufarbeitung erfolgen könne".

"Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte!", so die Politikerin Käte Strobel (1907-1996)

In weiteren Kapiteln greift "Die Unbeugsamen" Themen auf, die für die Entwicklung der Bonner Republik, wie auch seine Protagonistinnen, bedeutende Ereignisse waren. So geht er auf die Entwicklung der Grünen ein, die 1983 das "Feminat" ausriefen und ihren Fraktionsvorsitz im Bundestag nur mit Frauen besetzten. Er zeigt, wie Rita Süssmuth 1985 die zweite weibliche Ministerin im Kabinett Kohl wurde und dabei, gegen seinen Willen, ihre Eigenständigkeit bewahrte. Im Kapitel "Petra & Hannelore" beleuchtet die Doku in einigen Sequenzen auch das Leben von Petra Kelly und Hannelore Kohl. Und er zeigt auch, dass die im Film befragten Frauen, trotz unterschiedlicher Parteibücher, sich dabei unterstützten, in diesem von Männern verteidigten Beruf zu bestehen.

Kultur als Rahmen für die zeitliche Verortung

Der Film, der mit der musikalischen Wucht eines klassischen Orchesters, beginnt, endet mit einem kraftvollen Schlussakkord des City of Birmingham Symphony Orchestra unter Leitung von Mirga Grazinyte-Tyla. Neben ruhigen Bildern führt die stimmige Musikauswahl in die Atmosphäre der jeweiligen Zeit ein. Mit 50er-Jahre-Jazz, der Titelmelodie der Serie "Schwarzwaldklinik" oder dem Lied "Unter dem Pflaster liegt der Strand" der Frauenband Schneewittchen fügen sich die einzelnen Sequenzen zu einem stimmigen und kraftvollen Gesamtwerk zusammen. Dennoch fehlt etwas: der Blick auf die Politikerinnen der DDR.

AVIVA-Tipp: Kurzweilig und informativ zeigt dieser präzise komponierte Dokumentarfilm wie die politische Vergangenheit in das aktuelle gesellschaftliche Leben hinein wirkt. Sowohl die Interviewpartnerinnen, wie auch die Auswahl der Inhalte, klären darüber auf, wie Macht nicht nur das Geschlechterverhältnis beeinflusst. Ein toller Film, der Lust darauf macht, sich als Frau in der Politik einzubringen.

Die Politikerinnen im Film

Herta Däubler-Gmelin, geboren 1943, ab 1965 in der SPD, 1972 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1988 bis 1997 stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, 1998 bis 2002 Bundesministerin der Justiz.

Elisabeth Haines, geboren 1936, SPD, Mitbegründerin der Frauenabteilung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Renate Hellwig, geboren 1940, ab 1970 in der CDU, 1975 bis 1989 Mitglied des Bundesvorstandes der Frauen-Union, Mitglied des Bundesvorstandes der CDU, 1972 bis 1975 Mitglied des baden-württembergischen Landtags, 1980 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1983 bis 1994 Vorsitzende der Europakommission/EG-Ausschuss.

Marie-Elisabeth Klee, geboren 1922, verstorben 2018. Ab 1958 bei der CDU, Bezirksvorsitzende der Frauenvereinigung der CDU Rheinhessen, 1961 bis 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1986 bis 1993 Vorstandsvorsitzende des Deutschen Komitees der UNICEF.

Ursula Männle, geboren 1944, ab 1964 bei der CSU, Landesvorsitzende der Frauen-Union der CSU, 1979/80 und 1983 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages, 2014 bis 2019 Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung.

Ingrid Matthäus-Maier, geboren 1945, von 1969 bis 1982 bei der FDP, ab 1982 bei der SPD, 1976 bis 1999 Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP, 1999 bis 2008 Vorstandsmitglied der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Christa Nickels, geboren 1952, Gründungsmitglied der Grünen in Nordrhein-Westfalen (1979), 1983 bis 1985, 1987 bis 1990 und 1994 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1998 bis 2001 Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

Renate Schmidt, geboren 1943, ab 1972 bei der SPD, 1980 bis 194 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1990 bis 1994 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, 2002 bis 2005 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Helga Schuchardt, geboren 1939, von 1965 bis 1982 in der FDP, 1972 bis 1983 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1983 bis 1987 Kultursenatorin von Hamburg, 1990 bis 1998 niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur.

Rita Süssmuth, geboren 1937, ab 1981 in der CDU, 1987 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1985 bis 1988 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages.

Roswitha Verhülsdonk, geboren 1927, ab 1964 in der CDU, 1972 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1991 bis 1994 Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie und Senioren.

Carola von Braun, geboren 1942, ab 1964 in der CDU, 1980 bis 1983 Mitglied des Deutschen Bundestages, 1984 bis 1990 erste Frauenbeauftragte des Berliner Senats, Mitglied des Bundesvorstands der FDP.

Zum Regisseur: Torsten Körner, geboren 1965, ist Schriftsteller, Dokumentarfilmer, Journalist und Fernsehkritiker. Er leistete von 1986 bis 1988 seinen Zivildienst in einem Altenzentrum, studierte danach Theaterwissenschaft und Germanistik und lebt seit 2000 als freier Autor und Publizist in Berlin. Für seine fernsehkritischen Beiträge bekam er 2009 den Bert-Donnepp-Preis, den Preis für Deutsche Medienpublizistik. Als Regisseur drehte er unter anderem die Dokumentarfilme "Angela Merkel - Die Unerwartete" (2016) und "Schwarze Adler" (2021) über Rassismus im Fußball. Sein Buch "In der Männer-Republik. Wie Frauen die Politik eroberten" erschien als Buch zum Film "Die Unbeugsamen" im Februar 2020. Demnächst erscheint sein nächstes Buch, "Die Kanzlerin am Dönerstand. Miniaturen aus dem Leben von Angela Merkel."

Die Unbeugsamen
Deutschland 2021
Regie, Drehbuch: Torsten Körner
mit: Herta Däubler-Gmelin, Elisabeth Haines, Renate Hellwig, Marie-Elisabeth Klee, Ursula Männle, Ingrid Matthäus-Maier, Christa Nickels, Renate Schmidt, Helga Schuchardt, Rita Süssmuth, Roswitha Verhülsdonk, Carola von Braun, Sabine Gräfin von Nayhauß-Cormons
Verleih: Majestic
Lauflänge: 99 Minuten
Kinostart: 26.08.2021

Zur Webseite des Films: www.dieunbeugsamen-film.de

Weitere Informationen unter:

www.bundestag.de
Diese Webseite gibt Informationen zu allen Abgeordneten, ihren Tätigkeiten und Abstimmungsverhalten. Über die Mediathek-Seite "Parlamentsfernsehen" lassen sich alle Plenardebatten, wie auch eine Vielzahl an öffentlichen Ausschusssitzungen und Anhörungen live verfolgen. Dazu befinden sich in der Mediathek viele Angebote zum Nachschauen und herunterladen.

www.bpb.de
Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zum Frauenwahlrecht.

www.bpb.de
Aus Politik und Zeitgeschichte 17/2018 - Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung, Thema: (Anti-)Feminismus

www.bpb.de
Hintergrundbericht der Bundeszentrale für politische Bildung: Vor 20 Jahren: Eine Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht polarisiert Deutschland.

www.frauen-macht-politik.de
Unterstützung und Vernetzung von Frauen in der Politik über das Helene Weber Kolleg. Die Angebote der Webseite wenden sich auch an Frauen, die Politikerinnen werden wollen. Gefördert wird das HWK vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Benannt ist es nach Helene Weber (1881-1962), einer Politikerin und Streiterin für das Frauenwahlrecht, die als eine der vier Mütter des Grundgesetzes gilt.

www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de
Das Digitale Deutsche Frauenarchiv ist ein interaktives Fachportal zur Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland.

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Beitrag vom 23.08.2021

Helga Egetenmeier